KULTURTIPP FEBRUAR


Drei Generationen Fotografie
Das Fotomuseum Westlicht ehrt mit der Ausstellung „Model Arbus Goldin“ drei US-Fotografinnen, die über drei Generationen die den Blick auf die Gesellschaft geschärft und erweitert haben. Angefangen mit der in Wien geborenen Lisette Model bilden die drei Fotografinnen die unterschiedlichen Phasen des 20. Jahrhunderts ab und zeigen in einem Spannungsfeld zwischen Dokumentarischem und Subjektivem neben dem Alltäglichen auch das Andere, die sozialen Ränder und exzentrische Persönlichkeiten. Immer wieder verhandeln sie in ihren Bildern kulturelle und ästhetische Konventionen oder hinterfragen das scheinbar „Normale“. So widmete sich Model, die in den 1930er Jahren nach New York emigrierte den Menschen, die an beiden Enden des sozialen Spektrums standen. An „Arm und Reich“ verdichteten sich Models Fotografien zu einer Analyse zu den gesellschaftlichen Verhältnissen im Allgemeinen. Ihre ungewöhnliche Nahsicht, mit der sie Menschen auf der Straße fotografierte begründete einen neuen Stil in der „Street Photography“. Als Dozentin an der New School for Social Research in New York war ihre bekannteste Schülerin Diane Arbus, die ebenfalls im Westlicht gezeigt wird. Auch sie macht auf die Risse und Ränder der Gesellschaft aufmerksam. Sie lenkt den Blick auf die Kluft zwischen Absicht und Wirkung der Dargestellten, d.h. mit aller Empathie für ihre Sujets zeigt sie auch die Brüche zwischen Selbstwahrnehmung, Wunschbild und Performance. Goldin wiederum fotografiert aus der Perspektive einer Insiderin, als eine Fotografin, die ihre eigene Szene – die New Yorker LGBT Community der späten 1970er Jahre und frühen 1980er Jahre – in eindringlichen Porträts dokumentiert. Es entstanden eigenwillige und charakteristische Schnappschüsse, die sich durch wenig Licht und Bewegung auszeichnen. Es ist ihr Freund_innenkreis, den sie hier abbildet: In Bars und Badezimmern, beim Sex und Drogenkonsum. Die Fotos erzählen auch von Überschwang, von Obsession und Abhängigkeit. Goldin prägte den Begriff des „Heroin Chic“, der sich später in die Modefotografie einspeiste. 100 Fotografien der drei Künstlerinnen sind nun im Westlicht zu sehen. sic

bis 24.3., Model Arbus Goldin, WestLicht, 1070 Wien, WestbahnstraĂźe 40 www.westlicht.com


Lisette Model, Coney Island Bather, New York City, 1939, Ă“ Estate of Lisette Model




AUSSTELLUNGSTIPP JANUAR


Kopftuch im Wandel der Zeit
Die Ausstellung „Verhüllt, enthüllt!“ im Weltmuseum Wien nimmt sich eines sehr umstrittenen Stücks Stoff an – gilt doch das Kopftuch vielen als Symbol unterdrückter muslimischer Frauen. Die Ausstellung möchte sich dem Thema historisch und kulturübergreifend nähern und beginnt im vorreligiösen Mesopotamien, in dem das Kopftuch gesellschaftliche Unterschiede markierte. Auch im Christentum, so stellt die Ausstellung heraus, galt der Schleier als Zeichen der Ehrbarkeit und Schamhaftigkeit. Während des autoritären österreichischen Ständestaates und des Nationalsozialismus sollte das Kopftuch und das Dirndl Heimat und Bodenständigkeit markieren. Bis weit hinein in die 1960er-Jahre war, so das Fazit der Ausstellung, das Kopftuch auch in Europa bedeutend, wurde dann aber eher als Modeaccessoire getragen. Und auch im muslimischen Kontext reicht seine Bedeutung von einer sittsamen Verschleierung bis hin zu einer sexy, farbenfrohen und modischen Kopfbedeckung. Siebzehn (künstlerische) Positionen zeigen nun dieses breite Spektrum von individuellen, gesellschaftlichen und kulturellen Weisen auf, ein Kopftuch zu tragen. sic

bis 26.2.2019, VerhĂĽllt, enthĂĽllt! Das Kopftuch, Weltmuseum Wien, 1010 Wien, Heldenplatz, www.weltmuseumwien.at


© KHM-Museumsverband, Wienerin in „sartischer“ Tracht, anonym, Wien, 1927 (Weltmuseum Wien, Fotosammlung)




BUCHTIPP NOVEMBER


Altern als Transgender
Ein kürzlich erschienenes Buch der amerikanischen Fotografin Jess Dugan bildet Porträts und Interviews von älteren trans und gendernonkonformen Personen ab. Auch wenn die Sichtbarkeit von trans Personen langsam größer wird – ältere und alte trans Menschen bleiben meist weiterhin unsichtbar. „Ich wollte die Geschichten dieser Menschen sowohl hervorheben als auch dokumentieren. Sie waren es, die vor langer Zeit dazu beigetragen haben, dass wir nun so leben, wie wir es tun“, so Dugan über ihre Motive. Über fünf Jahre porträtierte Dugan mehr als sechzig Personen unterschiedlicher Herkunft und Milieus; die Interviews führte ihre Partnerin Vanessa Fabbre. „Es war spannend wie unterschiedlich die Geschichten jeder_s Einzelnen waren“, so Dugan weiter. Trotzdem gäbe es Gemeinsamkeiten in den Biografien. So haben viele durch ihre Transition vertraute soziale Netzwerke oder ihr Zuhause und ihre Familien verloren. Gleichzeitig fanden sie Freiheit und neue Gemeinschaften. Die Interviews machen auch die unterschiedlichen Erfahrungen von alten und jungen trans Personen und die veränderten gesellschaftlichen Debatten deutlich. Für Dugan, die sich selbst unter dem Umbrella-Begriff „Transgender“ verortet, sind die Porträts auch eine Wertschätzung ihrer eigenen Identität und die Würdigung, dass sie Teil einer großen Gemeinschaft ist. sic

Jess Dugan: „To Survive on This Shore: Photographs and Interviews with Transgender and Gender Nonconforming Older Adults“, Kehrer Verlag 2018.


Credit: Jess Dugan




AUSSTELLUNGSTIPP OKTOBER


Gewalt und Geschlecht
Die heftig umstrittene Sonderausstellung „Gewalt und Geschlecht“ im Dresdner Militärhistorischen Museum stellt Rollen- und Genderklischees im Krieg und bei Gewalttaten in Frage. Ist es tatsächlich so, dass Männer gewaltbereit und brutal, Frauen dagegen friedliebend und sanftmütig sind? „Wir haben den Verdacht“, so Kurator der Ausstellung Gorch Pieken „dass Gewalthandeln nicht nur mit Biologie zu tun hat, mit Testosteron oder Östrogen, sondern dass Frauen genauso gewaltvoll agieren können wie Männer.“ Denn schon jahrhundertelang beteiligten sich Kämpferinnen an Kriegen, Crossdresserinnen, also als Soldaten verkleidete Frauen, dienten in verschiedenen Armeen. So versammelt die riesige, kultur- und sozialhistorische Ausstellung beinahe 1000 Objekte, um vermeintliche Gewissheiten über Weiblichkeit und Männlichkeit zu hinterfragen. Wissenschaftliche Studien, Alltagsgegenstände, Tagebücher, Waffen, Ton- und Filmdokumente, aber auch exotische Artefakte wie etwa die Handtasche von Margaret Thatcher bieten neue Perspektiven auf das Thema. Einen besonderen Schwerpunkt legt die Schau auf die bildende Kunst mit zahlreichen Beiträge von (zeitgenössischen) Künstler_innen, wie etwa Louise Bourgeois, Birgit Dieker, Sylvie Fleury oder den Guerrilla Girls. Ein mit Menstruationsblut getränktes Porträt von Donald Trump, das eine feministische US-Künstlerin gemalt hatte, sorgte für heftige Auseinandersetzungen zwischen dem Kurator und der Museumsleitung. sic

bis 30.10., Gewalt und Geschlecht, Militärhistorisches Museum, 01099 Dresden, Olbrichtplatz 2, www.mhmbw.de


Credit: Jan Banning/Panos Pictures/VISUM




AUSSTELLUNGSTIPP OKTOBER


Kampf gegen das Patriarchat
Die Ausstellung „Radikal – Lesbisch – Feministisch“ im Schwulen Museum in Berlin widmet sich der Geschichte der HAW-Frauengruppe (Homosexuelle Aktion Berlin), die sich später in LAZ (Lesbisches Aktionszentrum) umbenannte. 1971 gründete sich die Homosexuelle Aktion Westberlin (HAW) u.a. in direkter Reaktion auf Rosa von Praunheims „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft in der er lebt“ und mit dem Anspruch, die Angst zu überwinden und selbst für die homosexuellen Rechte zu kämpfen. 1972 schloss sich dann zunächst eine kleine Lesbengruppe der HAW an. Die Gründerinnen kamen teilweise aus der antiautoritären und antikapitalistischen 1968er-Bewegung, die jedoch kaum die herrschenden heteronormativen und patriarchalen gesellschaftlichen Strukturen thematisierte. Als HAW-Frauengruppe wollten sie ihre Isolation durchbrechen und kämpften gegen Homophobie, repressive Familienstrukturen und die kapitalistische Ordnung der Gesellschaft. 1974 löste sich die HAW-Frauengruppe von den schwulen Männern ab und wandte sich der feministischen Frauenbewegung zu, u.a. auch weil sie sich von dem männlichen Teil der HAW marginalisiert fühlten. Es erfolgte die Umbenennung in „Lesbisches Aktionszentrum“ (LAZ). Bis weit in die Provinz war das LAZ für viele neugegründeten Lesbenprojekte von Bedeutung: Mit politischen und subversiven Aktionen etablierte das LAZ Strukturen, die auch heute noch von Bedeutung sind, wie etwa männerfreie Räume, „Pfingstreffen“, Selbstverteidigungskurse für Frauen, Selbstverlage, Buchhandlungen und Frauenkneipen. 1981 kam es zur Krise, als sich die Lesbenbewegung auflöste: entweder arbeiteten die Akteur_innen nun als Akademiker_innen in einem frauenfeindlichen bzw. -skeptischen Milieu oder zogen sich zurück in private Paarbeziehungen. Auch die Positionierung des LAZ in der feministischen Frauenbewegung war problematisch, da auch hier lesbische Belange von Forderungen heterosexueller Frauen – nach etwa Lohn für Hausarbeit und Mütterzentren – überlagert wurden. Mit Originaldokumenten, Bild- und Tonmaterial aus dieser Zeit aus lässt das Schwule Museum nun diese Zeit des kämpferischen Widerstandes und der phantasievollen, (politischen Aktionen) wiederaufleben. Ein besonderes Augenmerkt legt dabei die Ausstellung auf die lesbische (Festival-)Musikkultur. Beispielsweise können die Originalinstrumente und -tracks der Flying Lesbians besichtigt und gehört werden. sic

bis 6.11., Radikal – Lesbisch – Feministisch, Schwules Museum, 10785 Berlin, Lützowstraße 73, www.schwulesmuseum.de


Credit: Pfingstreffen 1973, Schlosspark-Charlottenburg © LAZ-Archiv




AUSSTELLUNGSTIPP


Der feministische Blick
Die Kunstgeschichte ist voller Beispiele des männlichen Blicks auf den weiblichen Körper. Bis hinein in die 1970er Jahre war mit Sexualität vornehmlich die Sexualität des Mannes gemeint. Und die feministischen Künstlerinnen von damals widmeten sich eher performativ dem eigenen Körper, während der erotische Blick auf den Mann eine Ausnahme bildete. Die Stadtgalerie Saarbrücken stellt mit ihrer Ausstellung „In the Cut – Der männliche Körper in der feministischen Kunst“ diese gängigen Sichtweisen auf den Kopf. So vereint die Ausstellung gleich drei Generationen von Feministinnen – angefangen mit Künstlerinnen wie etwa Louise Bourgeois, Carolee Schneemann oder Joan Semmel, aber auch Künstlerinnen einer jüngeren Generation wie Sophie Calle, Tracey Emin oder Anna Jermolaewa sind vertreten. Malereien, Videoarbeiten oder Fotografien rücken den Mann als Objekt des Begehrens in den Fokus. Dabei brechen die Künstler_innen gleich mehrere Tabus: So kehren sie die gängigen Machtverhältnisse um, die dem traditionellen Bilderkanon eingeschrieben sind, erheben gleichzeitig Anspruch auf eine sexuelle Selbstbestimmung und befreien sich von den klassischen Rollenzuschreibungen, die der Frau nur die Rolle des begehrenswerten Objekts zugestehen.sic

bis bis 30.9., In the Cut – Der männliche Körper in der Feministischen Kunst, Stadtgalerie Saarbrücken, 66111 Saarbrücken, St. Johanner Markt 24, www.stadtgalerie.de


Credit: Jana Sterbak, Distraction, 1992, Farbfotografie, 49 x 36 cm, Courtesy Jana Sterbak und Galerie Barbara Gross, (c) Jana Sterbak





AUSSTELLUNG


Spätes Gedenken
Die Ausstellung „Trostlose Trostfrauen“ in der Galerie im Ratskeller Lichtenberg widmet sich einem jahrzehntelang verdrängten Thema japanisch-koreanischer Geschichte. Während des Asien-Pazifik-Krieges, der nun etwa 70 Jahre zurückliegt, richtete die japanische Regierung auf dem gesamten japanischen Herrschaftsgebiet sogenannte „Troststationen“ für japanische Soldaten ein. Dorthin wurden, nach heutigen Schätzungen, etwa 200.00 Frauen aus dem damals besetzten Korea verschleppt, um dann in Folge als Zwangsprostituierte – „Trostfrauen“ ist aus heutiger Sicht ein verharmlosender Begriff – in Militärbordellen unfassbares Leid zu erdulden. Auch heute noch wird das tabuisierte Kriegsverbrechen von japanischen Politiker_innen und Historiker_innen verharmlost oder negiert. Weder Entschädigung – jenseits von einzelnen Entschuldigungen – ist den Frauen bisher angeboten worden noch ein allumfassendes Schuldeingeständnis ausgesprochen worden. Und auch von Korea erfuhren die Frauen weder Unterstützung oder Anteilnahme – vielmehr zogen sich die Familienangehörigen der Frauen aus Scham von den ehemaligen „Trostfrauen“ zurück. Die Ausstellung in Berlin-Lichtenberg will sich nun dem Thema über die Kunst nähern. Die Kuratorin der Ausstellung, die 1970 geborene Kwang Lee, möchte den Fokus auf Erinnerung, Frauen- und Menschenrechte legen und hat dafür Fotografien, Malereien, Grafiken und Videoarbeiten ausgewählt. Und auch Vorträge und Diskussionen um das Thema sind Teil des Rahmenprogramms. sic

bis 29.6., Trostlose Trostfrauen, Galerie für zeitgenössische Kunst im Ratskeller Lichtenberg, 10367 Berlin, Möllendorfstraße 6, www.kultur-in-lichtenberg.de



Credit: Sehong Ahn – „Su-dan Lee“ , 2016



AUSSTELLUNG


40 Jahre Frauenhäuser
Am 27. April 1978 wurde der Verein Soziale Hilfen für gefährdete Frauen und ihre Kinder gegründet. Im November 1978 eröffnete das erste Frauenhaus in Wien. Aktuell gibt es in Wien vier Frauenhäuser und eine ambulante Beratungsstelle. Nach wie vor ist Gewalt gegen Frauen ein gesellschaftlich relevantes – jedoch im Kulturbetrieb kaum behandeltes – Thema. Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums konzipierte deshalb das Wiener Volkskundemuseum gemeinsam mit dem Verein Wiener Frauenhäuser eine Ausstellung, die die Geschichte und die Entwicklung der Wiener Frauenhäuser in den Blick nimmt. Bis in die 1960er Jahre erschwerte das von 1811 vereinbarte Familienrecht Frauen den Ausbruch aus einer Gewaltbeziehung und auch gesellschaftlich wurde häusliche Gewalt tabuisiert. Erst die politischen Umbrüche der 1970er Jahre ermöglichten die Gründung des ersten Frauenhauses. Die Ausstellung zeigt die Anfänge der Frauenarbeit und die Entwicklung der psychosozialen Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen und Kindern in den letzten vier Jahrzehnten und weist auf die Dringlichkeit des Themas hin: Aktuell ist jede fünfte Frau in Österreich von Gewalt durch ihren Partner betroffen. In der Ausstellung geben Frauen in Interviews Einblick in ihren Alltag im Frauenhaus. Darüber hinaus erzählen sie ihre Geschichte von Gewalt, Flucht und anhaltender Bedrohung, aber auch von ihrer Anstrengung sich daraus zu befreien und ein selbstständiges und gewaltfreies Leben zu leben. Gleichzeitig können die Besucher_innen einen Einblick in den Arbeitsplatz der Mitarbeiterinnen erhalten und deren Umgang mit den Belastungen und Bedrohungen. Allgemein fragt die Ausstellung auch nach den Frauenbildern, die durch Werbung, Popmusik und anderen Medien vermittelt werden – und auch danach, wie diese die (un)bewusste Akzeptanz von Rollenbildern und ungleichen Machtverhältnissen beeinflussen. sic

bis 30.9., Am Anfang war ich schwer verliebt… 40 Jahre Wiener Frauenhäuser, Volkskundemuseum Wien, 1080 Wien, Laudongasse 15-19,
www.volkskundemuseum.at






AUSSTELLUNG


Queer-feministische Hexen
Johanna Braun entwickelte in ihrer Arbeit „Thou Shalt Not Suffer a Witch to Live (On Mass Hysteria I)“ einen Wartburg’schen Bilderatlas, der die Figur der Hexe unter historischen und kulturwissenschaftlichen Aspekten beleuchtet. Gleichzeitig befragt die Arbeit die feministisch-emanzipatorische Rolle der Hexe in Bezug auf aktuelle Diskriminierung, Marginalisierung und Migrationspolitik. Hier kristallisieren sich zentrale, inhaltliche Schwerpunkte der momentan gezeigten Gruppenausstellung „Magic Circle“ im Kunstraum Niederösterreich. Die Kuratorinnen Katharina Brandl und Daniela Brugger versammelten aktuelle und historische, künstlerische Positionen, die anhand der Figur der Hexe Themen wie weibliche Aneignung von Macht sowie magische Praktiken behandeln. „Das Faszinierende an der Figur der Hexe ist für uns, dass sie sowohl für Ermächtigung als auch für Unterdrückung steht“, so die beiden Kuratorinnen. Hexen waren – so die beiden Ausstellungsmacherinnen weiter – in der Geschichte Personen, die anders und nonkonformistisch waren oder Traditionen und Machtstrukturen hinterfragten. Dies bietet Anknüpfungspunkte an heutige Diskurse. So such die Künstlerin Karin Ferrari in ihrer Arbeit „DECODING Katy Perry’s Dark Horse (THE WHOLE TRUTH)“ in einem Musikvideo des amerikanischen Popstars Katy Perry nach okkulten Symbolen. Und Veronika Eberhart verknüpft – unter Einbeziehung der Theoretiker_innen wie Silvia Federici und Arthur Evans – die Hexenverfolgung mit der Entstehung des Kapitalismus in der frühen Neuzeit. Die Kuratorinnen spannen mit ihrer Auswahl ein breites Spektrum – es reicht von Arbeiten, die sich auf feministische Aneignungen des Hexenbegriffs in den 1970er Jahren bis hin zu zeitgenössischen feministischen und künstlerischen Bewegungen beziehen. sic

bis 15.5., Magic Circle, Kunstraum Niederösterreich, 1014 Wien, Herrengasse 13, kunstraum.net






AUSSTELLUNG


Drama des Körpers
Die 1954 geborene Kiki Smith ist eine sehr umtriebige Künstlerin: So gibt es den Mythos, dass sie die Kunst gleichzeitig mit dem Sprechen gelernt haben muss, kam sie doch in ihrem Elternhaus als Tochter des Architekten Tony Smith schon sehr früh mit Künstler_innen in Kontakt. Die Kunstakademie Santa Fe verließ sie alsbald, um in einer New Yorker Kunst-Kommune zu leben. In ihrer ersten Einzelausstellung thematisierte sie häusliche Gewalt, arbeitete in einem Kollektiv und nahm an der legendären Gruppenausstellung „Colab“ mit anatomischen Bildern von abgetrennten Armen und Beinen teil. Als einzige abgeschlossene Ausbildung kann sie einen Lehrgang als Rettungssanitäterin verzeichnen. Als Künstlerin arbeitete sie sich dann weiter an dem Bild der Frau ab und sezierte es beinahe wortwörtlich bis auf die Knochen: So besteht die Arbeit „Untitled (Ribs)“ aus weißglasierten Keramikrippen die als loses Mobile fragil zusammengebunden sind. Ohne Scheu vor Tabus und Grenzen der Scham analysiert sie de menschlichen Körper und stellt die Bedingungen menschlichen Daseins zur Diskussion. Dabei kommen eine Vielzahl von Medien und Materialien wie etwa Zeichnuns, Radierung, Lithografie, Video oder auch Glas, Keramik, Bronze, Latex, Federn, Haar oder Bienenwachs zum Einsatz. Als eine der ersten Künstlerinnen formte die katholisch erzogene Kiki Smith Frauen in Lebensgröße und räumte dann humorvoll ein, dass sie sich gerne Madonnen und Marienfiguren vornehme, um an ihnen herumzuspielen. Das Haus der Kunst in München widmet ihr nun eine Einzelausstellung unter dem Titel „Procession“ und ehrt nun das 30-jährige Schaffen der Künstlerin. Deutlich wird dabei ihre Hingabe an das „Drama“ des Körpers, vor allem des weiblichen Körpers mit dem gesamten emotionalen Spektrum von Gewalt und Verletzlichkeit, von Harmonie und Geborgenheit.sic

bis 3.6., Kiki Smith: Procession, Haus der Kunst, 80538 MĂĽnschen, PrinzregentenstraĂźe 1,
www.hausderkunst.de


Kiki Smith: ohne Titel, braunes Papier, Zellulose, Pferdehaar, 1995 © Kiki Smith, courtesy Pace Gallery




FILMFESTIVAL


Politischer Trickfilm
Rund um den internationalen Frauentag findet auch in diesem Jahr das Tricky Film Festival in Wien statt. Gezeigt werden Animationsfilme von Frauen, mit dem Ziel, die große Palette des kreativen Schaffens von Filmemacher_innen einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Themenschwerpunkt in diesem Jahr ist der dokumentarische und politische Trickfilm. So drehen sich die diesjährig gezeigten Filme um sozialpolitische Themen wie etwa „Women in Politics“, „Empowerment“ oder „Work Affair and Fair Play“. So können beispielsweise Besucher_innen den abendfüllenden Dokumentarfilm „1917 – Der Wahre Rote Oktober“ sehen. Auch Klassiker des politischen Films kommen zur Aufführung, wie etwa „Animal Farm – Aufstand der Tiere“ – einer Trickfilmadaption des gleichnamigen Romans von George Orwell unter der Regie von Joy Batchelor und John Halas aus dem Jahr 1954. Wie immer stellt der internationale Wettbewerb den Kernpunkt des Festivals dar – hier werden aktuelle Trends des Animationsfilms ausgelotet. Neben bekannten Größen des Trickfilms bietet das Programm auch immer wieder die Möglichkeit von Neuentdeckungen. Ein besonderer Schwerpunkt ist in diesem Jahr das Filmland Südkorea. Hier präsentieren sich unabhängige, südkoreanische Animationsfilme. Partys, Workshops, Ausstellungen und Lectures runden das vielseitige Festivalprogramm ab. sic

7. – 11.3., Tricky Women. Internationales Animationsfilmfestival, Metro Kinokulturhaus des Filmarchivs Austria, 1010 Wien, Johannesgasse 4,
trickywoman


Edge of Alchemy, Stacey Steers, USA 2017, Tricky Women 2018




THEATERTIPP OKTOBER 2017


Inside Out
Ausgehend vom feministischen Alison Bechdel-Test für Filme (Gibt es mindestens zwei Frauenrollen mit Namen? Sprechen sie miteinander? Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann?), setzte sich das Gießener Theaterkollektiv Eliza Rescue Team in seinem Stück „Pixel Heroes oder das Ende einer Dynastie“ mit den Fragen und Problemen von Repräsentation im Film auseinander. Ihre neue installative Theaterperformance „Report from the Interior“ beschäftigt sich mit den Dioramen in Museen – Schaukästen, die einen naturgetreuen Ausschnitt aus dem Leben eines Tieres, aber auch historische Szenen oder soziale Milieus inszenieren. Der Bühnenessay verbindet Science Fiction mit der Sehnsucht danach, die Welt zu begreifen und zu ordnen. Doch was geschieht, wenn der Mensch selbst das Diorama betritt und die Anordnung nicht mehr kontrollieren oder aus sicherer Distanz betrachten kann? sic

25. und 26.10., Eliza Rescue Team. Report from the Interior, HAU 3, 10963 Berlin, Tempelhofer Ufer 10,
Hebbel am Ufer (HAU)


Eliza Rescue Team. Report from the Interior. Foto: Nico Schmied




AUSSTELLUNGSTIPP OKTOBER 2017


Magischer Realismus
Die Kunsthalle Hamburg widmet der in Vergessenheit geratenen Hamburger Malerin Anita Rée eine Einzelausstellung mit rund 200 teils unbekannten Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen und Objekten. Die 1885 geborene Tochter eines jüdischen Kaufmanns und einer aus Venezuela stammenden Mutter nimmt Malunterricht bei Arthur Siebelist, da es Frauen bis in die 1920er-Jahre nicht erlaubt war, an Kunstakademien zu studieren. Rée etabliert sich zur gefragten Porträtistin der Hamburger Gesellschaft und ist eines von 33 Gründungsmitgliedern der Hamburgischen Sezession. Dennoch arbeitet die Künstlerin in großer Isolation und findet nach Jahren der Selbstzweifel und Existenzängste Ruhe im italienischen Fischerdorf Positano. Diese Zeit stellt die produktivste Schaffensphase von Anita Rée dar. Inspiriert durch die italienische Renaissancemalerei entstehen altmeisterliche, präzise Gemälde, wie etwa das erotische Selbstporträt „Halbakt vor Feigenblatt“ oder das rätselhafte Mädchenporträt „Teresina“. Ihre Darstellungen, die in ihrer Übersteigerung beinahe magisch wirken, fanden in Hamburg großen Anklang. Doch mit Beginn der 1930er-Jahre und dem aufkommenden Nationalsozialismus flüchtet Anita Rée nach Sylt, wo sie sich am 12. Dezember 1933 das Leben nimmt. sic

bis 4.2.2018, Anita RĂ©e. Retrospektive, Hamburger Kunsthalle, 20095 Hamburg, GlockengieĂźerwall 5,
Hamburger Kunsthalle


Anita Rée (1885–1933), Selbstbildnis, 1930, Öl auf Leinwand, 66 x 60,8 cm, © Hamburger Kunsthalle / bpk, Foto: Elke Walford




AUSSTELLUNGSTIPP SEPTEMBER 2017


Schwarze Körper in der Kunst
„Ich würde mich eher als politische Strategin bezeichnen, die sich der visuellen Sprache bedient, als eine Malerin“ – so beschreibt die 1954 in Tansania geborene Künstlerin, Autorin und Professorin Lubaina Himid ihre künstlerische Praxis. Himid, die im englischen Lancashire Kunst unterrichtet, ist eine der ersten Künstlerinnen, die in den 1980er Jahren eine Aktivistin der Black Arts Bewegung war. Immer wieder behandeln ihre Arbeiten die Repräsentation und Präsenz des schwarzen Körpers in der Kunst und hinterfragen westliche Stereotypen und Klassifikationen. In den 1980er und 90er Jahren kuratierte sie bedeutende Ausstellungen mit schwarzen Künstlerinnen. Himid bedient sich der Malerei, um den westlichen Mythos von „Afrika“ zu dekonstruieren. Auch aus Holzplatten ausgeschnittene und bemalte Oberflächen – sogenannte Cut-Outs – begreift sie als Malereien. Die Ausstellungen der gelernten Theatermalerin bilden räumliche Inszenierungen, die sich um Migration, Identität aber auch dem Verlust von kollektivem Wissen drehen. Oft sind ihre Arbeiten von europäischer oder islamischer Ornamentik beeinflusst und erzählen von geschlechtlicher oder rasistischer Unterdückung oder dem kolonialen Trauma. So treffen in der aktuellen Serie „Le Rodeur“ elegante Personen in surrealen Räumen aufeinander und evozieren durch ihre starre Körperhaltung ein Gefühl der Entfremdung oder des Unbehagens. Die Arbeit bezieht sich auf ein Ereignis im Jahr 1819, als auf einem Sklavenschiff alle versklavten Passagier_innen und die Besatzung an einer Augenerkrankung erblindeten. Der Titel der Ausstellung „The Truth is Never Watertight“ bezieht sich auf ein Zitat von Walter Benjamin, nachdem die eigentliche „Wahrheit“ durch das Netz von vermeintlichen Wirklichkeiten entgleitet. sic

bis 26.11., Lubaina Himid, The Truth is Never Watertight, Badischer Kunstverein, 76133 Karlsruhe, WaldstraĂźe 3,
Badischer Kunstverein


Lubaina Himid





AUSSTELLUNGSTIPP JULI 2017


Tempel der Vernunft
Angesichts der momentanen, politischen Entwicklungen, wie etwa der Wahl von Donald Trump zum neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten oder der Rechtsruck einiger europäischer Länder, fragen nun auch immer mehr Kulturschaffende oder -institutionen nach ihrer eigenen Rolle und Verantwortung im aktuellen Weltgeschehen. Der Hamburger Bahnhof erörtert diese Frage mit einer Einzelausstellung der amerikanischen Konzeptkünstlerin und Philosophin Adrian Piper. Die historische Halle aus dem 19. Jahrhundert generiert sich durch Pipers raumgreifende Installation „The Probable Trust Registry: The Rules of the Game #1-3“ zum beinahe sakralen Ort: Rezeptionist_innen stehen hinter drei goldfarbenen Tresen, die jeweils mit einem Spruch betitelt sind: : „I will always be too expensive to buy“, steht hinter einem Tresen, dann: „I will always mean what I say“, und ganz hinten: „I will always do what I say I am going to do.“ An diesen drei Standorten können die Besucher_innen unter dem jeweiligen Motto Verträge mit sich selbst abschließen. Sie verpflichten sich, nach ethischen Prinzipien zu handeln. Die Personen, die einen Vertrag abgeschlossen haben, werden anschließend in einem Verzeichnis vermerkt – als Gemeinschaft der „wahrscheinlich Vertrauenswürdigen“. Adrian Piper verhandelt in ihrer Installation, die zugleich eine partizipative Gruppenperformance darstellt, wie Vertrauen entsteht. Vertrauen, so ihr Ansatz, ist die Voraussetzung für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft und entsteht zuerst in uns selbst: Vertrauen wir uns, so können wir auch in einem zweiten Schritt anderen vertrauen. sic

bis 3.9., Adrian Piper. The Probable Trust Registry: The Rules of the Game #1-3,
Hamburger Bahnhof, 10557 Berlin, InvalidenstraĂźe 50-51,
Hamburger Bahnhof


Adrian Piper. The Probable Trust Registry: The Rules of the Game #1-3. Hamburger Bahnhof, 2017





AUSSTELLUNGSTIPP JULI 2017


Körper als Gedächtnisträger
Das beinahe sechs Jahrzehnte andauernde Lebenswerk der amerikanischen Künstlerin und Performance-Pionierin Carolee Schneemann wurde im Mai 2017 auf der Biennale von Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Das MMK in Frankfurt am Main präsentiert nun eine umfassende Werkschau, die einen Bogen spannt von ihren frühen Malereien und Assemblagen über Performances des „kinetischen Theaters“ und experimentellen Filmen bis hin zu großformatigen Installationen. Als Teil der New Yorker Downtown-Kunstszene der frühen 1960er Jahre sah sich Carolee Schneemann immer wieder mit Vorurteilen ihr gegenüber als Frau und Künstlerin konfrontiert. Ihre Solo-Performance „Interior Scroll“, die in der Ausstellung jedoch nur fotografisch dokumentiert ist, bringt eines ihrer zentralen Themen auf den Punkt: Die nackt auf dem Tisch tanzende Schneemann zieht eine lange Schriftrolle aus der Vagina und rezitiert daraus feministische Texte. Der Körper ist hier ein Gedächtnisträger. Gerade Künstlerinnen haben immer wieder ihren Körper als Werkzeug eingesetzt. Schneemann markiert den Anfang einer Reihe von Künstlerinnen wie etwa Ana Mendieta, Cindy Sherman oder Marina Abramovic, die ebenso mit ihren Körpern gearbeitet haben – die Radikalität Schneemanns ist jedoch auch heute noch erstaunlich. "Ich achte auf Bewegungen. Die Bewegung in meinem Körper, die Bewegung außerhalb. In der Landschaft. Die Züge und Autos. Die Tiere. Die Bomben und Explosionen – die Bewegung ist der Schlüssel zu allem, was mich interessiert." Dieses Zitat bringt in knappen Worten auf den Punkt wie kurz der Weg vom Körper, zur Politik und am Ende auch zum Krieg (in ihrem Fall der Vietnamkrieg) ist. sic

bis 24.9., Carolee Schneemann. Kinetische Malerei,
MMK Frankfurt, DomstraĂźe 1, 60311 Frankfurt am Main
www.mmk-frankfurt.de

Carolee Schneemann: Up to and including her limits, 1973-77





AUSSTELLUNGSTIPP MĂ„RZ 2017


Kunst im Untergrund
Die neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) in Berlin hat eine neue Runde des langjährigen Projektes „Kunst im Untergrund“ initiiert: Unter dem Titel „Mitte in der Pampa“ wurden ortsspezifische, künstlerische Arbeiten im Bereich der U-Bahnlinien 5 und 55 realisiert. Die Linie U5 verbindet den Alexanderplatz mit den von der Gentrifizierung betroffenen Stadtteilen Friedrichshain und Lichtenberg und führt dann hinaus nach Biesdorf, Kaulsdorf-Nord und Hellersdorf – Gebiete, in denen vermehrt Menschen mit Migrationshintergrund leben. Hier treffen sie auf eine NPD-Nachbarschaft, die, wie etwa 2013, mobil macht gegen eine neu eröffnete Gemeinschaftsunterkunft. Die finnische Künstlerin Laura Horelli thematisiert in der U-Bahnhaltestelle Schillingstraße die Solidaritätsgeschichte der DDR mit der Befreiungsbewegung SWAPO (South West Africa People’s Organisation), die von 1960 bis 1990 für die Unabhängigkeit Namibias von Südafrika kämpfte. Hier unterstützte sie die DDR mit dem Druck der englischsprachigen Zeitschrift Namibia Today. Anhand von 18 Großplakaten untersucht Horelli die praktische, Kontinente übergreifende Hilfe und gelebte Solidarität und thematisiert zugleich die unaufgearbeitete Kolonialgeschichte Deutschlands in Bezug auf seine verübten Verbrechen in Deutsch-Südwestafrika. sic

bis Oktober 2017, Namibia Today, U5 SchillingstraĂźe
www.kunst-im-untergrund.de







AUSSTELLUNGSTIPP MĂ„RZ 2017


Kulturelle Kodierungen
Oft handeln die Arbeiten der Künstlerin Nevin Aladag um ihre Familienmitglieder. In der türkischstämmigen Post-Gastarbeiterfamilie trifft eine Vielzahl an kulturellen Ausprägungen aufeinander: Sie werden aus anderen Kontexten entliehen, abgewandelt oder völlig neu verortet. Aladag schafft damit das Bild einer migrantischen, hybriden Diaspora, die sich mittlerweile aus vielen verschiedenen kulturellen Aspekten zusammensetzt. Der Salzburger Kunstverein raumgreifende Installation der Künstlerin, die das ganze Jahr zu sehen ist. Mehrere Fahnen zeigen die Fotoserie von zwei Händen – laut Aladag die Hände ihrer Mutter. Die Mutter spielt das anspruchsvolle „Fünf Steine Spiel“, bei dem der oder die Spieler_in gewinnt, der/die meisten Steine fängt.
Die Gruppenausstellung „A Painter’s Doubt“ geht der Frage nach, wie sich die individuellen Wahrnehmungsvorstellungen der einzelnen Maler_innen im Medium der Malerei manifestieren. Beteiligt sind u.a. Flora Hauser, Vivian Greven und Titania Seidl.
Die dritte Ausstellung des Salzburger Kunstvereins präsentiert die Künstlerin Margareta Klose, die Verpackungs- und Malmaterialien seit vier Jahren in Einmachgläsern konserviert. Im Laufe der Zeit verändert sich der Inhalt in seiner Farbe oder Materialität – eine Hommage an die Vergänglichkeit der Dinge. Parallel zur Ausstellung entwickelt Klose eine Wandmalerei, die plastische Elemente beinhaltet. sic
sic

bis 4.2.2018, Nevin Aladag. FĂĽnf Steine Spiel,
bis 23.4.2017 A Painter’s Doubt und Margareta Klose.
Im GrĂĽnen, Salzburger Kunstverein, 5020 Salzburg, Hellbrunner StraĂźe 3,
www.salzburger-kunstverein.at






AUSSTELLUNGSTIPP FEBRUAR 2017


Baukunst aus Tansania
Die Maasai im Norden Tansanias gelten als Halbnomaden. Während die Männer als Hirten mit den Tieren herumziehen, leben die meisten Frauen in sesshaften Gemeinschaften: Sie beschaffen Holz und Wasser, erziehen ihre Kinder, sind aber auch alleinverantwortlich für den Bau ihrer Häuser. Eine Ausstellung im Frauenmuseum Hittisau widmet sich nun der Baukunst von Maasai Frauen aus Ololosokwan, einem kleinen Dorf in dieser Region. In der polygamen Maasai-Gesellschaft besitzt jede Ehefrau eine eigene, selbsterbaute Hütte, in der sie mit ihren Kindern und Haustieren lebt. Die Ausstellung präsentiert die Lebensgeschichte und die aus Erde, Asche, Sand und Kuhdung gebauten Gebäude von zehn ausgewählten Maasai Baumeisterinnen und zeigt damit die baukulturellen Leistungen dieser Frauen. Darüberhinaus widmet sich Kuratorin Cornelia Faißt dem sensiblen Fakt, dass auch heute noch viele Mädchen der Maasai im Alter zwischen zwölf und vierzehn Jahren genitalverstümmelt und anschließend verheiratet werden. sic

18.6., Maasai Baumeisterinnen aus Ololosokwan, Frauenmuseum Hittisau, 6952 Hittisau, Platz 501
www.frauenmuseum.at







AUSSTELLUNGSTIPP AUGUST 2016


KĂĽnstlerische Zeugenschaft
Die siebzigjährige türkische Künstlerin Gülsün Karamustafa gilt als Chronistin ihres Landes und hat mit ihren Arbeiten maßgeblich die jüngere Generation türkischer Künstler_innen geprägt. Schon sehr früh engagierte sie sich politisch: Anfang der 1970er-Jahre versteckten sie und ihr Mann einen politisch Verfolgten; das Paar wurde daraufhin verhaftet. Die nachfolgende Zeit im Gefängnis verarbeitete Karamustafa in ihrer Serie „Prison Paintings“. Aber auch mit den Medien Installation, Performance oder Video bearbeitet sie Themen wie Migration, Popkultur oder Feminismus. Die Verwendung von Textilien, Ready-Mades oder Kitsch-Objekten zeugen davon, dass sie sich nicht eindeutig einer künstlerischen Strömung zuordnen lässt. Vielmehr sind es Fragen nach Identität, Integration oder Emanzipation, die für Karamustafa im Vordergrund ihres Schaffens stehen. Der Hamburger Bahnhof in Berlin zeigt nun erstmals in einer umfassenden musealen Einzelaustellung außerhalb der Türkei das breite Spektrum der Künstlerin: Auch heute noch beschäftigt sie das Zeitgeschehen ihres Landes, so kritisiert sie den trotz laizistischer Gesetze getrennten Unterricht für Mädchen und Jungen, den es jetzt wieder häufiger gibt. Karamustafas inhaltliche Schwerpunkte werden in der Ausstellung deutlich gemacht, indem ihre Arbeiten nicht chronologisch gezeigt werden, sondern vielmehr thematisch miteinander in Beziehung stehen. sic

bis 23.10., GĂĽlsĂĽn Karamustafa. Chronographia, Hamburger Bahnhof, 10557 Berlin, Invalidenstr. 50-51
www.smb.museum.de








KULTURTIPP AUGUST 2016


Feministische Korrektur
Die Berliner Schaubühne zeigt unter der Regie der Britin Katie Mitchell Elfride Jelineks Stück „Schatten (Eurydike sagt)“ und inszeniert damit eine feministische Bearbeitung der antiken Tragödie: Im Totenreich ist Eurydike Orpheus überdrüssig und möchte gar nicht von ihm gerettet werden. Sie erinnert sich, dass sie zu Lebzeiten im Schatten seines großen Egos stand und erkennt, dass sie sich als Schatten durchaus wohlfühlt– verwandelt von einem fremdbestimmten Objekt der Sehnsucht zu einem Nicht-Subjekt. Jelineks Text lässt keine klaren Rollen erkennen – es ist nicht definiert, wer gerade spricht. Damit fordert Jelinek die Regisseur_innen heraus, das Stück zu großen Teilen mitzugestalten. Katie Mitchell entscheidet sich dafür, zusammen mit Schauspieler_innen, Kamerafrauen und Sounddesigner_innen akustische Räume zu entwickeln, die Eurydike bei ihrer Reise zurück in die patriarchale Zivilisation durchschreitet. sic

28.–30.9, 3.10., Schatten (Eurydike sagt), Schaubühne, 10709 Berlin, Kurfürstendamm 153,
www.schaubuehne.de







AUSSTELLUNGSTIPP JULI 2016


Trickfilmpionierin
Das Düsseldorfer Filmmuseum ehrt in einer Sonderausstellung Lotte Reiniger, die 1926 mit ihrem Film „Die Abenteuer des Prinzen Achmet“ den ersten Silhouetten-Animationsfilm der Welt ins Kino brachte. Somit war sie bereits zehn Jahre vor Walt Disney die eigentliche Filmpionierin des Trickfilms und wird als weibliche Vorreiterin in der Filmindustrie gewürdigt. Die Ausstellung zeigt neben den wenigen original erhaltenen Filmfiguren auch Dokumente, Fotos und Entwürfe aus dem Nachlass Reinigers. Hier wird ihre Nähe zum Expressionismus und der Filmavantgarde der 1920er-Jahre in Deutschland sichtbar. Auch ihre Begeisterung für das chinesischen Schattenmarionettentheater flossen in ihre Filme ein. Ihre Animationen waren immer etwas raffinierter als die der Künstler_innen und Werbemacher_innen, die Reinigers Cut-Out-Ästhetik kopierten: Vor satten Farbhintergründen transformieren sich die fantastischen Motive bereits, noch ehe man alles überblickt hat. Bei der Ausstellung können Besucher_innen an einem interaktiven Tricktisch selbst Silhouettenfiguren animieren. sic

bis 8.1., Lotte Reiniger und der absolute Film, Filmmuseum, 40213 DĂĽsseldorf, Schulstr. 4
www.duesseldorf.de/filmmuseum


Die Abenteuer des Prinzen Achmet, © Christel Strobel, München




AUSSTELLUNGSTIPP JULI 2016


Formen der RĂĽckkehr
Heimat – so wird durch die großen Migrationsbewegungen immer deutlicher – ist für viele schon lange kein Ort mehr, sondern eher ein Gefühl – oder, wie es die Ausstellung „Didto’s Amoa (woher wir kommen)“ der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs zeigt – eine Erinnerung. Die dort ausgestellten Künstler_innen behandeln in ihren Arbeiten die reale Rückkehr von Aussiedler_innen in ihre Heimatländer – sie sind dort jedoch in den meisten Fällen Tourist_innen. Dabei ist der Aufenthalt „zu Hause“ zeitlich begrenzt und das Heimatbild durch die Perspektive von Urlauber_innen geprägt. Die Ausstellung fragt nach unterschiedlichen Arten des Zurückkehrens, denn mitunter kann schon der Austausch mit anderen über das Herkunftsland eine Art Rückkehr bedeuten. Und löst das Zurückkehren in die Heimat der Eltern oder Großeltern bei Migrant_innen der zweiten oder dritten Generation ähnliche Gefühle aus? Die Ausstellung macht deutlich, dass die Rückkehr immer auch durch die unterschiedlichen Formen der Diaspora selbst geprägt ist. sic

bis 31.8., Didto’s Amoa (woher wir kommen), VBKÖ, Maysederg. 2, 1010 Wien
www.vbkoe.org







AUSSTELLUNGSTIPP JUNI 2016


Superautomaten
Michaela Melián, Hamburger Kunstprofessorin und Gründungsmitglied der Band F.S.K., verortet sich an der Schnittstelle zwischen Musik und Kunst. Ihre multimedialen Rauminstallationen, die Filme, Fotografien, Zeichnungen, Objekte, Musik und Texte integrieren, behandeln die Geschichte von Orten, Gedächtnis und Sprache sowie insbesondere die Biografien von Frauen, die von der Geschichtsschreibung übergangen wurden. Der Titel der zentralen Rauminstallation von Meliáns Einzelausstellung im Münchner Lenbachhaus lautet „Electric Ladyland“. Der fünf Meter hohe und siebzig Meter lange Raum verwebt Sound, grobstrichige Tuschezeichnungen, Objekte und Licht zu einem Szenario, das von keinem Punkt des Raumes aus als Ganzes erfassbar ist. Zentrale Figur der Installation ist die fiktive Figur der Olympia aus Jacques Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“. Die mechanisch bewegliche Puppe ist in ihren körperlichen Fähigkeiten so hochentwickelt, dass sie ihrem Konstrukteur über den Kopf wächst und daraufhin von ihm zerstört wird. Stellt die Installation eine Utopie aus Tönen und Bildern dar, so ist sie auch gleichzeitig eine Verheißung im Zwischenreich von Mensch und Maschine. „Ich habe immer ein Problem damit, wenn alle Technik böse ist – was wir heute in Diskursen auch oft erleben. Ich finde, sie bietet auch eine unheimliche Möglichkeit. Alleine wenn man von der elektronischen Musik ausgeht: Das sind ja wahnsinnige Versprechen und unglaublich tolle Sachen, die man machen kann“, so Melián über den Ansatz ihrer Arbeit. Auch frühere Arbeiten werden gezeigt: Die Dia-Sound-Installation „Föhrenwald“ thematisiert die wechselvolle Geschichte der heutigen Wohnsiedlung Waldram nahe dem oberbayerischen Wofratshausen, in der Zwangsarbeiter_innen und später jüdische Displaced Persons untergebracht wurden. sic

bis 12.6., Michaela Melián – Electric Ladyland, Lenbachhaus, 80333 München, Luisenstr. 33
www.lenbachhaus.de


Michaela Melián, Electric Ladyland, 2016 (Ausschnitt) © die Künstlerin, VG Bild-Kunst, Bonn 2016




AUSSTELLUNGSTIPP JUNI 2016


KĂĽnstliche Ausschnitte
Die Porträtfotografien und die freudsche Psychoanalyse entwickelten sich in etwa zeitgleich. Bei beiden wird das eigene Selbst betrachtet. Kein anderes Kunstwerk, so Walter Benjamin, sei so aufmerksam betrachtet worden wie die Fotografien des eigenen Selbst und das der nächsten Verwandten. Somit wurden sowohl der/die Fotograf_in als auch die porträtierten Personen zum Mittelpunkt einer neuen Weltsicht, die man als subjektbezogen bezeichnen könnte. In ihrer Ausstellung in der Berlinischen Galerie thematisiert die Fotografin Heidi Specker die Bedingungen und Kennzeichen der Porträtfotografie, handelt es sich dabei ja auch immer um ein gegenseitiges Abhängigkeits- und Machtverhältnis zwischen Fotograf_in und Modell. Nebenbei stellt sie die Frage, inwieweit man die Persönlichkeit eines Menschen bildlich überhaupt zu fassen bekommt. Der zweite Teil der Ausstellung umfasst Speckers Serie „Im Garten“, die Aufnahmen von Bäumen und Sträuchern im urbanen Kontext zeigt. Die Pflanzen wirken im städtischen Raum beinahe künstlich und lassen Parallelen zwischen den Resten der Natur und der Architektur entdecken. sic

bis 11.7., Heidi Specker – In Front Of, Berlinische Galerie, 10969 Berlin, Alte Jakobstr. 124–128
www.berlinischegalerie.de


Heidi Specker, H.B., aus der Serie IN FRONT OF, 2015, © Heidi Specker / VG BILD-KUNST Bonn, 2016




AUSSTELLUNGSTIPP FEBRUAR 2016


Queere Superheld_innen
Genaugenommen gibt es Comics schon seit der Antike: In der Grabkammer eines ägyptischen Feldvermessers finden sich 3.400 Jahre alte Bildsequenzen, die Alltagsszenen darstellen. Einen mehr oder weniger gewöhnlichen Alltag anderer Art behandeln queere Comics – aktuell zu sehen in der Ausstellung „SuperQueeroes. Unsere LGBTI*-Comic-Held_innen“ des Schwulen Museum* Berlin. Schwerpunkt sind dabei weniger die allseits bekannten Superheld_innen, die in den letzten Jahren auch im US-amerikanischen Mainstream-Comic ihr Coming-out erleben durften. Vielmehr behandelt die Schau den heroischen Alltag von LGBTI*s, die sich inmitten einer heteronormativen Gesellschaft behaupten müssen. Die gezeigten Autor_innen, darunter Alison Bechdel, Tom of Finland oder auch Megan Rose Gedris und Erika Moen, werden ebenfalls als „Held_innen“ und LGBTI*-Vorkämpfer_innen geehrt: Einige unter ihnen hatten oder haben selbst mit sozialer Ausgrenzung zu kämpfen. Sie erzählen von „Big Life Issues“, etwa von Familiendynamiken, Coming-out, Genderidentitäten oder einfach von Liebe, Beziehung, Lust und Sex. Sie skizzieren eine utopische Welt, in der alle frei sind, ihren Herzen (und ihrer Libido) zu folgen. sic

bis 26.6., SuperQueeroes. Unsere LGBTI*-Comic-Held_innen, Schwules Museum*, 10785 Berlin, LĂĽtzowstr. 73
www.schwulesmuseum.de


Copyright: Swen Marcel, 2015




AUSSTELLUNGSTIPP JANUAR 2016


Gegen das Verschwinden
Leicht hatten es die Malerinnen Ende des 19. Jahrhunderts nicht: Sie wurden vom männlich dominierten Kunstbetrieb weder willkommen geheißen noch gefördert. Den verächtlich als „Malweiber“ herabgewürdigten Frauen blieb der Zugang zu Kunstakademien verwehrt, unter anderem auch wegen der Aktstudien: Frauen, die Nackte malten, schickten sich nicht. Lediglich private Malschulen oder Studien im Ausland ermöglichten den Frauen eine professionelle künstlerische Ausbildung. Die wenigen Malerinnen, die in dieser Epoche einen gewissen Erfolg hatten, gerieten schnell wieder in Vergessenheit.
Selbst in der Berliner Secession, die sich in Abgrenzung zum konventionellen, akademischen Kunstverständnis formierte, blieb das Vermächtnis der weiblichen Mitglieder nicht in gleichem Maß bewahrt wie das der männlichen. Anders als ihre Künstlerkollegen – wie etwa Max Liebermann – konnten die Künstlerinnen ihr Erbe nicht über die Nazizeit hinwegretten: Auch für die jüdische Julie Wolfthorn, die zu den Gründungsmitgliedern der Berliner Secession gehörte und die 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde, wo sie am 26. Dezember 1944, starb, gibt es keinen Ort des Erinnerns. Mit der Ausstellung „Frauen der Secession II“ setzt die Liebermann-Villa die 2012 begonnene Präsentation von Künstlerinnen fort und stellt nun eine zweite Gruppe von Frauen vor, die zu Unrecht kaum bekannt sind. Die Ausstellung zeigt wichtige Werke von Julie Wolfthorn, Charlotte Berend-Corinth, Maria Slavona und Augusta von Zitzewitz. Ihr wichtiger Beitrag zur Portraitmalerei oder des Impressionismus wird dabei sichtbar. sic

bis 29.2., Frauen der Secession II, Liebermann-Villa am Wannsee, 14109 Berlin, Colomierstr. 3,
www.liebermann-villa.de


Julie Wolfthorn: Dame mit Hund, 1900. Copyright: Liebermann-Villa




AUSSTELLUNGSTIPP SEPTEMBER 2015


Existentielle Systeme
Die Ausstellung „Zeitgeschichten – Aufklärung“ ist die erste große Retrospektive über die Künstlerin Hanne Darboven nach ihrem Tod 2006, sie wird zweigeteilt in München und Bonn gezeigt. Nicht weniger als Dabovens lebenslanger Versuch, die Welt in Systemen zu erklären und zu erfassen, soll dabei beleuchtet werden. Die mit „Aufklärung“ betitelte Schau im Münchner Haus der Kunst untersucht ihre Auseinandersetzung mit der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte. Unter dem Titel „Zeitgeschichten“ fokussiert die Schau in der Bonner Bundeskunsthalle dagegen ihre politischen und biografischen Arbeiten. Darboven gilt heute als einflussreichste deutsche Konzeptkünstlerin. Schon in den 1960er Jahren entwickelte sie eine neutrale Sprache der Zahlen mit den Materialien Feder, Bleistift, Schreibmaschine und Millimeterpapier. Ihre einfachen, linearen Zahlenkonstellationen bezeichnete sie selbst als Konstruktionen: Quersummen aus Kalenderdaten dienten ihr dazu, ein immer komplexeres System auszuarbeiten. Zeit war Darbovens Thema: Ihre endlosen Kolonnen aus Zahlen und Buchstaben machen die Zeit räumlich fassbar, ordnen sie in an- und abschwellenden Reihen immer wieder neu und zerstören dabei die Annahme, dass Zeit zwangsläufig chronologisch getaktet ist. Am sinnlichsten erfahrbar wird dies in den Arbeiten, die das Material in Musik umwandeln. Als man sie einmal fragte, was sie gern sein würde, antwortete Hanne Darboven: „Weiter.“ Dieses rastlose Suchen nach geistiger Erweiterung schlug sich nieder in Millionen von beschriebenen Seiten: Lebenszeit übersetzt in Schreibzeit. sic

bis 14.2.2016, Hanne Darboven. Aufklärung, Haus der Kunst, 80538 München, Prinzregentenstraße 1, und
bis 17.2.2016, Hanne Darboven. Zeitgeschichten, Bundeskunsthalle Bonn, 53113 Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 4
www.hausderkunst.de
www.bundeskunsthalle.de







AUSSTELLUNGSTIPP AUGUST 2015


Technik vs. Reproduktion
Das fünf Jahre andauernde Projekt „Roberta Breitmore“ der US-amerikanischen Medienkünstlerin Lynn Hershman Leeson, das sie 1972 startete, kann man als Vorwegnahme von virtuellen Identitäten sehen, die heute Second Life bevölkern. Als eine Art Klon der Künstlerin mit blonder Perücke lebt Roberta Breitmore ein zweites Leben in Echtzeit und in der realen Außenwelt: Sie eröffnet ein Konto, geht zum Therapeuten und macht über Annoncen Bekanntschaft mit Männern. Auch die strukturellen Benachteiligungen und den Sexismus erlebt sie in ihrer virtuellen Rolle. „Diese Opferrolle wollte ich irgendwann nicht mehr: Nicht für sie, nicht für mich. 1978 beendete ich das Projekt. Danach ging es auch in meinen Arbeiten nicht mehr um das Opfersein, sondern um Selbstermächtigung", sagt Hershman Leeson im Rückblick. Und so erweiterte sie daraufhin ihr Themenspektrum Identität und Sexualität um das Verhältnis der Betrachter_in zu ihrem individuellen Gegenüber, Interaktivität und Performativität. Ihre Spielfilme „Lorna“ und „Teknolust“ (u.a. mit Tilda Swinton) behandeln die Themen Cyber-Identität, künstliche Intelligenz sowie die Entkopplung von Sexualität und menschlicher Fortpflanzung. Heute gilt Lynn Hershman Leeson als eine der ersten und auch einflussreichsten Medienkünstlerinnen. Innerhalb der vergangenen vier Jahrzehnte leistete sie in den Bereichen Fotografie, Video, Film, Performance, Installation und interaktiver sowie netzbasierter Medienkunst Wegweisendes. Die Deichtorhallen Hamburg zeigen nun eine erste umfassende Retrospektive sowohl mit einem Überblick über alle Schaffensphasen der Künstlerin als auch der Präsentation ihrer neuesten Produktionen. Peter Weibel, Kurator der Ausstellung, beschreibt die Aktualität von Hershman Leesons Arbeiten dahingehend, dass hier die Frau nicht auf den Körper sondern auf Technik bezogen wird. „Bei ihr wird sie nicht als der reproduktive Körper definiert, der dem produktiven des Mannes gegenübersteht. sic

bis 15.11., Lynn Hershman Leeson. Civic Radar, Deichtorhallen Hamburg ? Sammlung Falckenberg, 21073 Hamburg-Harburg, Wilstorfer StraĂźe 71, Tor 2
www.deichtorhallen.de







AUSSTELLUNGSTIPP JUNI/JULI 2015


Kunst als öffentliches Ärgernis
1968 stellte sich die argentinisch-französische Künstlerin Lea Lublin im Pariser Musée d’Art Moderne zusammen mit ihrem acht Monate alten Sohn drei Wochen lang selbst aus. Kunst, Alltag, Mutterschaft und konzeptuelle und politische Themen waren in ihrer Performance vereint – Reproduktionsarbeit an sich wurde im Museum gezeigt. Das Münchner Lenbachhaus zeigt nun eine große Retrospektive der in Deutschland nahezu unbekannten Künstlerin. Lublin, die schon mit zwölf Jahren ein Studium an der Akademie der Künste in Buenos Aires begann, sorgte mit ihren Arbeiten für enorme Aufregung: 1970 wurde eines ihrer Gemälde konfisziert und sie selbst wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses in Argentinien zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Ihre Pariser Ausstellung „Der Striptease des Jesuskindes“ fragt nach der unterschwelligen Erotik in der christlichen Malerei. Und für ihre Theorie des Readymades stahl sie Marcel Duchamps Briefkasten.
Lublins kritische Befragung des Bildes als ideologisches Konstrukt können auch als Kommentare zu vorherrschenden Repräsentationsformen gelesen werden, die das Alltagsleben regulieren, besonders Gender und Sexualität betreffend. Neben Fotografien, Zeichnungen, Wandinstallationen und Videos der Künstlerin zeigt das Lenbachhaus auch Lublins Environment „Fluvio Subtunal“ (1969). Lublins langjähriges Projekt „Interrogations sur l’art“ (Befragungen zur Kunst) wird an verschiedenen Orten Münchens außerhalb des Museums fortgesetzt. sic

25.6.–13.9., Lea Lublin – Retrospective, Städtische Galerie im Lenbachhaus, 80333 München, Luisenstraße 33
www.lenbachhaus.de







AUSSTELLUNGSTIPP MAI 2015


Krieg und Frieden
Mehr als tausend Repräsentantinnen aus der ganzen Welt überwanden 1915 viele Hürden und polizeiliche Schikanen, um gemeinsam beim Frauenfriedenskongress bürgerlicher Frauenrechtlerinnen in Den Haag und der Friedenskonferenz sozialistischer Frauen von Bern politische Forderungen zu formulieren. Trotz der unzähligen (musealen) Gedenkveranstaltungen zum Ersten Weltkrieg ist dieses Engagement größtenteils in Vergessenheit geraten. Das Bonner Frauenmuseum widmet sich den Aktivitäten von Frauen für und gegen den Krieg umfassend. Zentral für den historisch-soziologischen Überblick sind die Jahre 1915 – 1945 – 2015. Ein weiterer Bereich der Schau zeigt aktuelle Arbeiten von 55 Künstlerinnen, die sich in Film, Rauminszenierungen, Fotografie und Malerei mit dem Thema Krieg auseinandersetzen. Im dritten Teil der Ausstellung werden die bislang insgesamt 16 Trägerinnen des Friedensnobelpreises vorgestellt, um auf die Forderung nach gleichberechtigter Repräsentanz in der Friedenspolitik aufmerksam zu machen. sic

bis 1.11., Frauen in Krieg und Frieden 15 – 45 – 15, Frauenmuseum, 53111 Bonn, Im Krausfeld 10
www.frauenmuseum.de







AUSSTELLUNGSTIPP APRIL 2015


Freiheit durch Beschränkung - Channa Horwitz
Als die kalifornische Konzept- und Performancekünstlerin Channa Horwitz 2009 wiederentdeckt wurde, stellte sie humorvoll fest, dass ihre Karriere mit 77 Jahren nun endlich beginnen würde. Horwitz, die 2013 im Alter von achtzig Jahren verstarb, ist der exemplarisches Fall einer einsamen Künstlerin inmitten des männerdominierten Kunstbetriebs. So bewarb sie sich etwa 1968 für die legendäre Ausstellung „Experiments in Art and Technology“ in Los Angeles, bei der Künstler_innen auf Wissenschaftler_innen treffen sollten. Zunächst für die Show eingeplant, wurde ihr Vorschlag schließlich als einziger nicht realisiert. Dass die anderen Beiträge ausnahmslos von Männern stammten, sorgte für feministischen Protest. Horwitz kam zu dem Schluss: „Das einzige, was Frauen nicht haben, ist das Vertrauen und der Glaube in uns selbst.“ Trotzdem habe sie immer gewusst, dass ihre Kunst wichtig sei. So arbeitet sie seit den 1960er-Jahren kontinuierlich an ihren minimalistischen, grafischen Notationssystemen, um eine Möglichkeit zu finden, Zeit, Rhythmus und Bewegung zu visualisieren. Dabei erforschte sie die Grenzen zwischen Kunst und mathematischer Wissenschaft. Es entstanden komplexe, kinetische Skulpturen und Zeichnungen auf amerikanischem Standard-Millimeterpapier, die sich wie eine Partitur lesen lassen. Die Berliner Kunst-Werke präsentieren nun mit einer umfassenden Einzelausstellung alle Schaffensphasen von Horwitz. Ihr künstlerisches Postulat, dass nur durch Beschränkung, künstlerische Freiheit entsteht, lässt sich dabei in der Werkschau anschaulich entdecken. sic

bis 25.5., Channa Horwitz. Counting in Eight, Moving by Colour, KW Institute for Contemporary Art, 10117 Berlin, Auguststr. 69
www.kw-berlin.de


Channa Horwitz, Circles on a Cube, 1968/2011, Lack auf Holz,40 x 40 x 40 cm,
Courtesy Nachlass Channa Horwitz und François Ghebaly Gallery, Los Angeles.