AUSSTELLUNG


Robert Vanis „New Vision"
Robert Vanis Fotoserie „New Vision“ unternimmt einen Marsch durch die Epochen der Fotografie. Sie verweist auf erkämpfte und mittlerweile anerkannte Postulate der Fotografie und zitiert die neuen, fotografischen Techniken, die sich in den sozialen Netzwerken geformt haben, um dann am Ende beide in einer überraschenden Wende miteinander in Beziehung zu setzen.

Zu sehen ist eine Serie von acht 24 x 18 cm großen Silbergelatine-Prints des immer gleichen Motivs. Morgenlicht scheint hier durch eine hölzerne Stuhllehne hindurch. Dabei bildet sich der Schatten der Stuhlsprossen in scharfem Kontrast auf einem Tisch ab. Vanis tauchte Schwarzweißfotografien nachträglich in Dye-Tinten und Tonerfarben. So unterteilen große blaue, gelbe, violette, rote und grüne Farbflächen die stark geometrisch angelegte Fotografie und überlagern sie zum Teil. Durch die Färbung tritt beispielsweise die Maserung des Holzes in der grauen Tischfläche stärker hervor.
Die scharf kontrastierte Fotografie ruft die damals radikalen Forderungen einiger Fotograf_innen der 1920er Jahren nach unkonventionellen Blickpunkten und extremen Perspektiven wach. Gefordert wurde eine klare, sachliche, detailscharfe und realistische Fotografie, die ohne Manipulation auskam. Alexander Rotdschenko (1891-1956) abstrahierte beispielsweise Ausschnitte und Blickwinkel so sehr, dass jegliche konventionelle Methode zum Lesen der Darstellungen der Umwelt versagte. So sollten die Betrachter_innen zum „neuen Sehen“ erzogen werden: Durch die Verschiebung der Sehgewohnheiten sollte in Folge auch ein neues „Weltgefühl“ entstehen.[1]

Die Farbflächen allerdings lassen weitere Bezüge zu. Sie setzen andere Schlaglichter, heben das Grau des Tisches in den Vordergrund, lassen seine Struktur aufleuchten und stellen diese somit in Kontrast zum eigentlich dominanten Schatten der Stuhlsprossen. Neue Schwerpunkte sind gesetzt – sie stehen mitunter auch im Gegensatz zum gewohnten Bildaufbau. Auch hier setzt Vanis Bezüge. Hier zu Bildgebungsverfahren, wie etwa Filterfunktionen in den sozialen Medien. In einem einfachen Schritt – die Filter nennen sich beispielsweise „Havanna“ oder „Explosion“ – können die Fotos damit grundlegend und standardisiert und somit für die Nutzer_innen unkontrollierbar verändert werden. Mittlerweile gibt es auch eine Gegenbewegung. Instagram weist Fotografien unter dem Hashtag #nofilter als unbearbeitet aus. Zeigt sich auch hier – im Digitalen – die immer alte Sehnsucht nach dem „Echten“? Lassen sich auch hier die gleichen Forderungen nach einer detailscharfen und realistischen Fotografie (wie sie schon das neue Sehen forderte) ablesen?

Robert Vanis holt diese digitalen Bildgebungsverfahren wieder zurück auf das reale und materielle Fotopapier und zeigt in der inszenierten Gegenüberstellung alter und neuer fotografischer Ansätze, dass sich trotz extremer Bildkomposition, wie etwa der subjektiven Auswahl der Fotograf_innen, oder neuer Filtermöglichkeiten immer noch die hartnäckige Vorstellung von der Fotografie als Spiegelbild der Welt, als „pencil of nature“[2] über die Jahrzehnte gehalten hat. Was also ist die „New Vision“, auf die der Titel der Serie verweist? Das Motiv der Serie ist überraschenderweise – laut Vanis – das Morgenlicht. Vanis inszeniert, kommentiert und transzendiert den Realitätsdiskurs der Fotografiegeschichte und ihre Fragen nach Authentizität und Verfremdung, indem er den einzig „realen“ Faktor der Fotografie, nämlich ihre physikalischen Produktionsgrundlagen, zum eigentlichen Thema macht – das Licht.



[1] Vgl. Birgit Jooss, Das „Neue Sehen“. Extreme Perspektiven in der Fotografie, in: Salmen, Brigitte (Hrsg.): Perspektiven: Blicke, Durchblicke, Ausblicke in Natur und Leben, in Kunst und Volkskunst. Murnau 2000.

[2] Ebd.

DIE SUMME SEINER TEILE - Eine Ausstellung zum Bauhausjahr 2019
mit Arbeiten von Britta Bogers, Stefan Eichhorn, mzin, Robert Vanis und Patricia Westerholz 02.05. –15.06.2019 im KUNSTVEREIN GERA